Was macht eigentlich … Musik mit uns?

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Kaum jemand würde bestreiten, dass Musik unsere Stimmung beeinflusst. Doch, wie genau Musik auf uns wirkt und welche Gefühle damit überhaupt ausgelöst werden können, das haben wir Prof. Marcel Zentner von der Universität Innsbruck gefragt, der sich als Forscher seit mehr als 20 Jahren mit diesen Fragen beschäftigt.

Professor Zentner, kann Musik unsere Stimmung verbessern oder sich im Gegenteil negativ auf unsere Stimmung auswirken?

Beides ist der Fall. In der Regel hebt das Hören von Musik unsere Stimmung. Sie kann dabei regelrecht belebend wirken. Aber sie kann uns auch durch die Darbietung beeindrucken und zu Tränen rühren. Wir haben durch unsere Forschung entdeckt, dass beim Musikhören oft andere Emotionen eine Rolle spielen als in unserem Alltag. Daraus entwickelten wir ein Modell zur Einordnung der emotionalen Wirkungen von Musik, das aus insgesamt neun Emotionskategorien besteht. Beim Hören von Musik spielen demnach vor allem Emotionen eine Rolle, die sich den Kategorien Bezauberung, Sehnsucht, Transzendenz, Ruhe, Energie, Freude, Zärtlichkeit, Traurigkeit und Spannung zuordnen lassen. Gefühle wie Angst, Schuld, Scham oder Ekel beispielsweise, die im Alltag durchaus eine Rolle spielen, sind bei der Wahrnehmung von Musik kaum relevant. Anhand dieses Modells lassen sich musikevozierte Gefühlszustände nun sachgerecht beschreiben und untersuchen.

Und wann hat das Hören von Musik einen negativen Effekt auf unsere Stimmung?

Negativ wirkt sich Musik vor allem dann auf unsere Stimmung aus, wenn sie nicht mit unserem Musikgeschmack übereinstimmt. Das ist denke ich sehr gut nachvollziehbar. Wenn Sie nur Death Metal hören und mögen, dann wird klassische Musik sie langweilen oder nerven und andersrum. Im Extremfall kann Musik sogar zur Folter werden. In Guantanamo wurde muslimischen Häftlingen zum Beispiel eine Zeit lang Hard Rock Musik vorgespielt, um sie psychisch zu brechen.

Heißt das dann auch, dass Musik nicht bei jedem die gleiche Reaktion auslöst?

Richtig. Neben unserem Musikgeschmack haben unsere Studien gezeigt, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Empfänglichkeit für Musik deutlich verstärken. Empathische Menschen werden zum Beispiel viel stärker von Musik – besonders trauriger Musik – angesprochen als weniger emphatische Personen. Ebenfalls beeinflusst musikalische Expertise, wie wir emotional auf Musik reagieren. Das sind einige Elemente, die auf individueller Ebene wirken. Daneben beeinflussen aber auch externe Faktoren die Wirkung von Musik. Also zum Beispiel wie gut die Musik aufgeführt wird und in welchem Kontext wir diese hören.

Die neun Kategorien, die sie in ihrem Modell festgelegt haben, haben Studienteilnehmer benutzt, um die Wirkung von Musik beim Hören verbal zu beschreiben. Erleben wir diese Emotionen denn auch tatsächlich?

Das ist eine interessante Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist und damit zusammenhängt, wie Musik von uns verarbeitet wird. Was durch unterschiedliche Studien bereits nachgewiesen wurde und auch wir bestätigen konnten, ist, dass beim Hören von Musik unsere Belohnungszentren im Gehirn angesprochen werden. Das heißt, wenn wir Musik hören, werden Bereiche aktiviert, die sonst zum Beispiel beim Sex, Drogenkonsum oder Essen aktiviert werden. Mit Blick auf die unterschiedlichen Kategorien unseres Modells konnten wir darüber hinaus beobachten, dass je nach Emotion andere Hirnareale aktiv sind. Das heißt, dass die Stücke nicht nur unterschiedlich beschrieben werden, sondern die entsprechenden Emotionen im Hörer auch tatsächlich auslösen.

Neben diesen neurowissenschaftlichen Untersuchungen haben andere Studien gezeigt, dass es beim Hören von Musik auch zu neurochemischen und hormonellen Veränderungen kommt. Wir haben auch festgestellt, dass motorische Hirnareale häufig aktiviert werden, was faszinierend ist, da die Probanden sich bei der Untersuchung im Scanner ja nicht bewegen konnten. Erkenntnisse aus diesen und weiteren Studien werden bereits in der Musiktherapie in großem Umfang umgesetzt. Musik kann die Behandlung von beispielsweise Parkinson, Aphasie, Demenz, Depressionen und anderen psychologischen Problemen unterstützen.

Wenn man sich die neun Emotionen anschaut, sind nur zwei davon auf den ersten Blick negativ konnotiert: Traurigkeit und Irritation. Warum hören wir überhaupt traurige Musik? Könnte man nicht annehmen, dass wir uns nicht durch das Hören trauriger Musik noch trauriger stimmen wollen?

Musikalische Traurigkeit wie man dieses Phänomen nennt, ist tatsächlich eine seltsame Sache. Denn eigentlich wollen wir Traurigkeit im Alltag vermeiden. Paradoxerweise hören wir aber gerne traurige Musik, die uns durchaus auch traurig stimmt. Zur Erklärung gibt es unterschiedliche Ansätze.

Einige Forscher glauben, dass dadurch, dass die Emotion durch die Musik ausgelöst wird und nicht durch dramatische reale Umstände, wir die Traurigkeit genießen können. Sie argumentieren, dass es negative Lebensumstände sind, die für den aversiven Charakter der Emotion verantwortlich sind, nicht die Emotion selbst. Einer anderen Erklärung zufolge fühlen wir uns durch das Hören trauriger Musik weniger allein. Durch die traurige Musik erleben wir, dass wir dieses Gefühl mit anderen teilen. Es ist, wie wenn ein sympathischer Leidensgenosse neben uns säße. Das hätte dann in diesem Fall einen kathartischen Effekt.

Dazu passt, dass unsere Befragten im Zusammenhang mit Musik weniger von Traurigkeit im Sinne eines depressiven Zustands sprechen, sondern häufiger das Wort Melancholie verwenden. Dies spricht dafür, dass Musik uns bei der Traurigkeit sozusagen abholt und in einen Zustand ästhetisch geläuterter Melancholie versetzt.

Zum Abschluss noch die Frage: Viele Menschen waren in den vergangenen Monaten in einer Extrem-Situation. Kann Musik denn auch gegen Einsamkeit helfen?

Das ist eine schwierige Frage, auf die ich so keine direkte Antwort habe. Einsamkeit an sich ist keine Emotion, mit der wir uns direkt befassen. Aus den beschriebenen Zusammenhängen lässt sich aber schon schließen, dass Musik natürlich helfen kann die Pandemie besser zu bewältigen. Denn Musik stützt auf jeden Fall unsere Stimmung und wer selbst musiziert, profitiert noch stärker von diesen Effekten.

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