01. September 2017

Besessen und bescheuert

Tobias Reitz ist Textdichter mit Leib und Seele. Er schreibt Songtexte für Stars wie Helene Fischer und Andrea Berg. Er weiß, was einen guten Songtext ausmacht, auf was sich der Textdichter-Nachwuchs einstellen darf und was man für diesen Beruf mitbringen muss. Talent allein ist es nicht.
Wie läuft der Kreativprozess ab, der Ihre Texte entstehen lässt? Unterschiedlich. Oft gehe ich gemeinsam mit einem Komponisten ins Studio. Manchmal sind dort auch Interpret und Produzent dabei. Gemeinsam erarbeiten wir Text und Komposition. Häufig sitze ich aber auch zu Hause und schreibe allein. Grundsätzlich gliedert sich der Entstehungsprozess in drei zeitlich getrennte Schritte. Zunächst sammle ich Ideen, mache Notizen etc. Im zweiten Schritt suche ich mir eine Idee heraus und arbeite sie aus. Am Ende folgt die Überarbeitung: welche Zeilen fallen wieder heraus und welche werden noch mal geändert bis der finale Text steht. Sie arbeiten nach einer klaren Struktur? Ja. Das liegt aber nicht jedem in der Branche. Ich habe es auch erst in den 15 Jahren meiner Textdichtertätigkeit lernen müssen. Inzwischen funktioniert diese Vorgehensweise sehr gut für mich. Arbeiten Textdichter auch mal mit anderen Textdichtern im Team? Das ist zwar der seltenere Fall, kommt aber durchaus vor. Es ist dennoch wichtig, immer wieder mit anderen Textdichtern zusammen zu arbeiten, um nicht die ganze Zeit in seinem eigenen Saft zu schwimmen. Ganz besonders inspirierend sind Kollaborationen mit Kollegen aus Genres, für die man normalerweise nicht textet. Bei mir Rockmusiker oder Rapper bspw. Selbst wenn diese Songs nicht veröffentlicht werden, inspirieren sie mich zu etwas Neuem, auf das ich allein vielleicht nicht gekommen wäre. Kreativ tätig zu sein, bedeutet immer aus der eigenen Komfortzone rauszukommen. Was macht einen guten Songtext aus? Ein guter Song bzw. Songtext ist ein Geschenk ans Publikum. Er artikuliert etwas, worin sich die Hörer wiederfinden, ein Teil ihrer Lebenswelt bzw. Gefühlswelt wird wiederspiegelt, oft gewürzt mit unbekannten Aspekten. Das sind häufig Sehnsüchte, die die Hörer in sich tragen, aber nicht ohne weiteres artikulieren könnten. Das trifft vor allem auf den Schlager- und Popbereich zu. In anderen Genres ist es eher gefragt, ein bestimmtes Thema durch Originalität und virtuoser Poesie auszudrücken. Sie sind auch Dozent und bringen anderen das Textdichter-Handwerk bei. Worin drückt sich Talent in Ihren Schülern aus? Talentiert ist jemand, der Sprachkraft, Originalität und Unterhaltungspotential hat, Bilder malen kann und mich mit Texten etwas erleben lässt. Kopfkino, auch wenn der Begriff etwas abgeschmackt ist, trifft es wohl am besten. Außerdem muss ein Textdichter willig sein, einige Jahre Scheiße zu fressen. Bis sich Erfolg einstellt sind Leidensfähigkeit und Energie ganz wichtig. Man darf sich einfach nicht so schnell entmutigen lassen. Kurz gesagt: Man muss schon etwas besessen und bescheuert sein, um diesen Beruf auszuüben. Ist das allen Textdichtern gemein? Ich habe noch keinen Kollegen erlebt, der den Beruf ausübt, weil er Geld verdienen möchte oder nichts anderes gefunden hat. Diejenigen, die es geschafft haben, sind alle Überzeugungstäter – von Volksmusik bis Heavy Metal. Sie lieben das, was sie tun. Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis die Berufung zum Beruf wurde? Es hat ungefähr sieben Jahre gedauert, bis ich vom Texten leben konnte. Das war wohl relativ schnell, wie mir von Kollegen bestätigt wurde. Am Anfang habe ich meine Lieblingskomponisten angeschrieben oder abtelefoniert und gefragt, ob sie Bedarf haben. Reines Klinkenputzen also. Wer sind Ihre Lieblingskomponisten bzw. gibt es berufliche Vorbilder? Oh ja, gibt es. Irma Holder an erster Stelle. Sie hat mich, obwohl ich sie nicht persönlich kenne, dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen. Auch Michael Kunze ist ein sehr großes Vorbild. Zu guter Letzt Edith Jeske was das Didaktische und Coaching betrifft. Haben Sie am Ende dieses Interviews einen Rat für angehende Textdichter parat? Macht es nur dann und erwartet nur dann etwas, wenn ihr wirklich davon überzeugt seid. Und achtet nicht so sehr darauf, was es schon gibt und was die anderen machen. Zur Person
Tobias Reitz gehört zu den erfolgreichsten deutschen Textdichtern. Er schreibt Songtexte meist für Schlagerinterpreten. Helene Fischer, Andrea Berg und Patrick Lindner hat er schon seine Worte in den Mund gelegt – insgesamt mehr als 150 verschiedenen Interpreten. An ca. 700 veröffentlichen Songs war er beteiligt. Etwa 500 weitere liegen noch in der Schublade.
Mit einem Seminar an der von der GEMA-Stiftung geförderten Celler Schule begann 2001 seine Karriere. Inzwischen leitet er gemeinsam mit Edith Jeske die Textdichterschmiede. Gemeinsam haben sie das „Handbuch für Songtexter“ verfasst.