Magazin / 28. September 2023

„Jede Entwicklungsstufe erfordert neue Fähigkeiten von uns“

Foto: Sebastian Linder

Wechsel an der GEMA Spitze: Nach 17 Jahren übergibt Dr. Harald Heker sein Amt an Dr. Tobias Holzmüller, seit 2013 Justiziar der GEMA. Ursula Goebel hat mit dem alten und dem neuen CEO über vergangene und zukünftige Herausforderungen gesprochen.

Herr Heker, nach 17 Jahren verabschieden Sie sich in den Ruhestand. Wenn Sie denken, ich lege das Amt in die Hände von Tobias Holzmüller, was denken Sie dann?

Harald Heker (HH): Dann denke ich, dass das der richtige Zeitpunkt ist. Die GEMA ist auf einem vorläufigen Höhepunkt ihres wirtschaftlichen Erfolgs. Und ich denke, dass Tobias Holzmüller das mit seinem Führungsteam glänzend machen wird. 

Tobias, wenn du das Amt jetzt übernimmst, was denkst du?

Tobias Holzmüller (TH): Ich freue mich sehr darauf. Wir haben ein großartiges Team, mit dem wir die GEMA in die Zukunft führen werden. Die Organisation ist in einem guten Zustand. Und dennoch gibt es ein paar Aufgaben, die wir erledigen müssen und Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Ich bin mir der Verantwortung durchaus bewusst. 
 

„Wir haben ein großartiges Team, mit dem wir die GEMA in die Zukunft führen werden. Die Organisation ist in einem guten Zustand.“ – Tobias Holzmüller

Herr Heker, 2006, haben Sie den Vorstandsposten der GEMA übernommen. Ein Jahr zuvor wurde YouTube gegründet, der Beginn des Streamings. Diese Disruption prägte die ersten Jahre Ihrer Amtszeit. Was war damals los im Musikbusiness? Und was waren die größten Herausforderungen für die GEMA?

HH: Sie haben das Stichwort YouTube genannt. Das war der Beginn der Digitalisierung, die auch die GEMA sehr schnell erreicht hat. Es kamen vollkommen neue Geschäftsmodelle auf den Markt, mit denen sich alle Marktteilnehmer, eben auch die GEMA, auseinandersetzen mussten. Und dieser Markt war nicht mehr national, sondern international. Neben der technologischen Entwicklung mussten rechtliche Rahmenbedingungen nachgezogen werden, denn dafür gab es keine Regeln. Diesen Rechtsrahmen zu schaffen, parallel zu der sprunghaften technischen Entwicklung, sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene, das war natürlich eine große Herausforderung. Gleichzeitig haben wir begonnen, ein neues Team hier im Hause aufzubauen. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen, denn nahezu jede neue Entwicklungsstufe erfordert neue Fähigkeiten von uns. In den Nullerjahren mussten wir die GEMA komplett umkrempeln, um diese neuen Herausforderungen überhaupt bewältigen zu können.

Stichwort Digitalisierung. Hat sich das Amt des Vorstandsvorsitzenden mit der Digitalisierung verändert?

HH: Ja, natürlich. Durch die technologische Entwicklung haben sich vollkommen neue Aufgaben ergeben. Neue internationale Marktteilnehmer rüttelten an den Grundpfeilern unseres Geschäfts. Das Streaming veränderte die Nutzungsgewohnheiten der Gesellschaft und die Plattformökonomie generierte neue Kundinnen und Kunden, die hohe Erwartungen an die Services und Leistungen von Organisationen stellen, auch an die GEMA. All das muss der Vorstandsvorsitzende im Auge haben. 

„Durch die technologische Entwicklung haben sich vollkommen neue Aufgaben ergeben.“ – Harald Heker

Wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken, gibt es da auch Stolzmomente?  

HH: Also, Stolz ist etwas, das mir nicht im Blut liegt. Aber es gab natürlich gute Momente. Zum einen, als es gelungen ist, durch Verträge den neuen digitalen Markt ansatzweise zu regeln. Und zum anderen dann auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit innerhalb dieses Rahmens für die Autorinnen und Autoren eine angemessene Vergütung erzielt werden konnte. 
 
War die GEMA überhaupt bereit für diese Disruption?

HH: Natürlich war die GEMA wie, glaube ich, die meisten anderen Marktteilnehmer auch auf diese Entwicklung nicht vorbereitet. Wir mussten ja sehr schnell reagieren. Ich bin ein Teamplayer und mir war von Anfang an klar, das gelingt nur mit einem Team, das den Weg der Digitalisierung mitgestalten kann. Wir mussten völlig neue Profile schaffen, die Organisation restrukturieren und neue Bereiche entwickeln, um diese neuen Aufgaben bewältigen zu können.
In diesem Team haben wir dann versucht, Lösungen zu finden. Dieser Prozess ist heute noch längst nicht abgeschlossen.

Sie übergeben nun das Amt an Tobias Holzmüller. So wie Sie, übernimmt auch er das Amt mit einer Disruption im Musikmarkt, die Künstliche Intelligenz. Wie bewerten Sie als scheidender CEO die anstehenden Herausforderungen?

HH: Richtig, das Stichwort Künstliche Intelligenz steht seit einigen Monaten ganz oben auf der Agenda. Wenn diese Entwicklungen, insbesondere in der generativen KI, so kommen, wie wir das im Moment vermuten, dann wird das eine enorme technologische Umwälzung sein. Und die wird dann auch rechtliche, wirtschaftliche, sozialpolitische und kulturelle Folgen haben, mit denen sich die GEMA wird beschäftigen müssen. 

Tobias, du bist 2013 zur GEMA gekommen. Eine Zeit, in der es wahrlich turbulent war: Das Sperrtafel-Urteil, die Tarifreform, deutschlandweite Demonstrationen der Klubbesitzer. Du bist von einer Rechtsanwaltskanzlei zur GEMA gekommen. Wie war Dein Blick von außen auf die GEMA? Und wie hat er sich in den letzten Jahren verändert?

TH: Ja, stimmt. 2013 war die GEMA in einem schwierigen gesellschaftlichen Umfeld unterwegs. Mir hat schon damals imponiert, mit welcher Kraft die GEMA sich dank des Rückhalts ihrer Mitglieder manchmal auch gegen den Strom stemmen kann. Dass sie diesen Gegenwind, diese massive öffentliche Kritik aushält – insbesondere im Fall YouTube, in dem die GEMA eigentlich als einziger Akteur in der ganzen Musikindustrie wirklich dagegengehalten hat. Das hat mich in meiner Rolle als Justiziar der GEMA geprägt: die Erkenntnis, dass es sich lohnt zu kämpfen. Zunächst in den zahlreichen Prozessen und Vergleichsverhandlungen, die wir geführt haben. 2017 kam dann die Einigung mit YouTube. Und schließlich kam 2019 die Urheberrechtsreform, die all das, wofür wir gekämpft haben, ins Gesetz gegossen hat. 

Kannst Du das bitte konkretisieren?

TH: Mit der europäischen Urheberrechtsreform, die als DSM-Richtlinie verabschiedet wurde und als Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz in nationales Gesetz gegossen wurde, wollten wir den Anspruch auf angemessene Vergütung gegenüber Upload-Plattformen wie YouTube gesetzlich regeln. Das ist uns gelungen. Für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Musikwerke müssen sogenannte User Generated Content-Plattformen und Social Media-Dienste eine angemessene Vergütung an die Urheberinnen und Urheber zahlen. Spätestens damit hat sich das Klima geändert und viele haben zu uns gesagt: Euer Weg war der richtige. Die kollektive Kraft der GEMA Mitglieder, mit der wir gegenüber Internetgiganten aufgetreten sind, hat viele beeindruckt. Das war ein Prozess, der sehr lehrreich war - für die GEMA, aber auch für mich persönlich. Und so gilt für mich bis heute, dass wir nicht immer sofort auf jeden Trend einschwenken sollten, sondern erst einmal überlegen sollten, was bedeutet das eigentlich für unsere Mitglieder? Wie können wir diesen Prozess in ihrem Sinne gestalten?
 

Nun bist Du in der Position, diesen Prozess zu gestalten. Weißt Du, was nun auf Dich zukommen wird? 

TH: Die Herausforderungen, vor denen der Musikmarkt insgesamt und die GEMA stehen, sind unübersehbar. Offensichtlich sortiert sich der Musikmarkt im Moment neu. Es gibt ganz viele neue Akteure: Investoren, Technologieanbieter, Vertriebs- und Verwertungsdienstleister. Einige von denen werden auch wieder verschwinden, aber es bleibt dabei: Die tradierten Verwertungsstrukturen geraten unter Druck und verändern sich, die Grenzen verschwimmen. Die GEMA muss hier innovativ sein, um relevant zu bleiben.  Zudem hat das Musikstreaming die Ökonomie der Musikauswertung grundlegend verändert. Es wird immer schwieriger, für unsere Mitglieder von ihrer Musik zu leben – und gleichzeitig ist genau das ja unsere Aufgabe, dafür zu sorgen. Auch hier werden wir aktiv bleiben. Und ganz aktuell haben wir mit künstlicher Intelligenz das neue Disruptionsthema, das den Markt nachhaltig verändern wird. Mit all diesen Dingen umzugehen und das Beste für die GEMA Mitglieder daraus zu machen, das wird meine Amtszeit prägen.

„Unsere Mission ist es, dafür zu sorgen, dass die menschliche Kreativität nicht von der künstlich geschaffenen Kreativität verdrängt wird.“ – Tobias Holzmüller

Viele Mitglieder treibt das Thema generative KI um, vor allem die Angst, von der Kreativität nicht mehr leben zu können. Wie positioniert sich die GEMA?

TH: Wir können und wollen Künstliche Intelligenz oder generative KI nicht aufhalten. Sie wird unser aller Leben verändern. Doch künstliche Intelligenz braucht menschliche Intelligenz als Basis, als Existenzgrundlage, als Inspiration. Unsere Mission ist es, dafür zu sorgen, dass die menschliche Kreativität nicht von der künstlich geschaffenen Kreativität verdrängt wird. Sondern, dass es ein System gibt, in dem menschliches Musikschaffen sich weiter lohnt. Dazu gehört auch, dass der Wert, der von künstlich geschaffener Musik im Markt irgendwann generiert wird, in angemessener Weise zurückfließt in die Hände derer, die die Original-Kreativität geschaffen haben, auf denen dann diese künstlichen Systeme aufsetzen.

Wie willst Du hier konkret vorgehen?

TH: Das lässt sich nicht isoliert auf einer Ebene lösen. Dieses Thema hat verschiedene Facetten. Die gesellschaftliche Debatte darüber, wie generative KI unser Leben verändert, ist längst da. Die werden wir natürlich begleiten. Hier sind wir die Stimme der Menschen, die selbst Musik schaffen. Es muss ein gesellschaftliches Ziel sein, dass auch künftig Menschen vom Komponieren und Songtexten leben können. Ähnliche Diskussionen gibt es im Journalismus oder in der Literatur. Zudem versuchen wir, im Status Quo wirtschaftliche Lösungen zu finden, also Lizenzlösungen. Da sind die Rahmenbedingungen aufgrund der Vorgaben im europäischen Recht nicht ideal, aber es gibt Ansätze. Am Ende werden wir auch über regulatorische Eingriffe sprechen müssen. Wir haben jetzt die ersten Regulierungsvorschläge im Bereich künstlicher Intelligenz auf dem Tisch. Das ist nicht falsch aber für unseren Bereich auch zu wenig spezifisch. Ich glaube nicht, dass das reichen wird, um den Markt dahin zu bringen, wo er hin muss. Wir werden auch über neue Regeln im Urheberrecht nachdenken müssen.

Arbeitet die GEMA bereits mit Künstlicher Intelligenz? 

TH: Natürlich nutzen auch wir als GEMA künstliche Intelligenz schon seit Jahren. Das ist ja kein Teufelszeug, was man verfluchen sollte, sondern ein überaus nützliches Instrument, wenn man es an der richtigen Stelle einsetzt: Nämlich da wo es uns hilft, unseren Job besser zu machen. Genauso, wie unsere Mitglieder künstliche Intelligenz als Unterstützung für ihren Schaffensprozess nutzen können. Aber gleichzeitig müssen wir eben ein waches Auge darauf haben, was diese Technologie und ihre Folgeerscheinungen in dem Bereich anrichten, in dem unsere Mitglieder aktiv sind.
 

„Wir werden überall dort sein, wo unsere Mitglieder unsere Hilfe brauchen.“ – Tobias Holzmüller

Arbeitet die GEMA bereits mit Künstlicher Intelligenz? 

TH: Natürlich nutzen auch wir als GEMA künstliche Intelligenz schon seit Jahren. Das ist ja kein Teufelszeug, was man verfluchen sollte, sondern ein überaus nützliches Instrument, wenn man es an der richtigen Stelle einsetzt: Nämlich da wo es uns hilft, unseren Job besser zu machen. Genauso, wie unsere Mitglieder künstliche Intelligenz als Unterstützung für ihren Schaffensprozess nutzen können. Aber gleichzeitig müssen wir eben ein waches Auge darauf haben, was diese Technologie und ihre Folgeerscheinungen in dem Bereich anrichten, in dem unsere Mitglieder aktiv sind.

Du übernimmst das Haus in einem guten Zustand. Wie fällt Deine Prognose für die kommenden Jahre aus?

TH: Natürlich wollen wir weiterwachsen und die Erträge steigern. Auch in dem herausfordernden Marktumfeld, das uns wahrscheinlich in Zukunft bevorsteht. Wir wollen unseren Mitgliedern in einem immer komplizierter und immer ausdifferenzierter werdenden Musikmarkt helfen, dass sie weiterhin von ihrer Kreativität leben können. Wir werden überall dort sein, wo unsere Mitglieder unsere Hilfe brauchen. Und wir wollen besser werden. Gerade im Bereich Services müssen wir Fortschritte erreichen. Hier wollen wir die Chancen der Automatisierung konsequent nutzen, um präziser und schneller zu werden, noch transparenter. Ich denke, dass wir die Zeit zwischen der Nutzung und dem Moment, in dem das Geld auf dem Konto eingeht, signifikant verkürzen können. All das können wir nur erreichen, wenn wir die Technologien nutzen, die derzeit auf dem Markt vorhanden sind. Moderne Rechtewahrnehmung kann man nicht mit Taschenrechner und Aktenordner machen. Die Digitalisierung hat begonnen, ist aber nicht abgeschlossen. Harald Heker hat es ja bereits gesagt: das ist kein Zustand, dem man irgendwann erreicht und sagen kann, jetzt sind wir digitalisiert. Der Prozess muss weitergehen und auch schneller werden.

Das Thema künstliche Intelligenz überlagert das Thema Streaming. Ist das Thema auf Deiner Agenda? 

TH: Natürlich, der Musik-Streaming-Markt in Deutschland wächst weiter und wird bald zwei Milliarden Euro groß sein. Wir erwirtschaften ein Viertel unserer Einnahmen aus dem Musik- und Video-Streaming. Wir schütten dieses Jahr allein über 150 Millionen Euro Musikstreaminggelder an unsere Mitglieder aus. Natürlich muss es uns weiterhin interessieren, wenn in diesem Markt etwas nicht rund läuft. Und es gibt Bereiche, die man verbessern muss. Die Kunden bezahlen für Musik-Streaming viel zu wenig. Jetzt haben wir gerade zaghafte Preiserhöhungen von Deezer und Amazon gesehen. Zum ersten Mal seit Existenz dieser Dienste. Das Angebot dieser Dienste hat sich über Jahre vervielfacht und die Preise sind einfach gleichgeblieben. Das kann nicht so bleiben, Preiserhöhungen werden ein wiederkehrendes Phänomen sein. Zweitens müssen wir die Verteilung dieser Einnahmen durch die Streaming-Dienste an die verschiedenen Rechte-Inhaber verbessern. Der Anteil, der für das Songwriting bezahlt wird, ist einfach zu gering. Und wir müssen insgesamt überlegen, wie die Streaming-Dienste mit diesem potenziellen Überangebot von Musik umgehen sollen, wenn jeden Tag als 100.000 neue Werke hochgeladen werden. Wie man es schafft, die Musik, die unsere Mitglieder schreiben, auf diesen Plattformen überhaupt noch zu finden und dann auch zu nutzen.

Was kann man denn da tun? Ist die Marktmacht der Streamingdienste nicht schon heute viel zu groß?

TH: Es gibt aktuell in Brüssel verschiedene Aktivitäten, die sich rund um das Thema Streaming mit der Auffindbarkeit und der Transparenz bei der Anzeige europäischer Inhalte beschäftigen. Das begleiten wir intensiv. Und wir versuchen in unseren Lizenz-Verhandlungen mit den Plattformen dafür zu sorgen, dass wir von diesen höheren Einnahmen der Streaming-Dienste dann auch einen größeren Teil abbekommen.

Dann bringst Du in dieses Amt gute politische Kontakte mit? 

TH: Der rechtspolitische Bereich, in dem jetzt viel passiert, war schon in der Vergangenheit ein wichtiges Betätigungsfeld für mich. Sowohl beim Verwertungsgesellschaftengesetz als auch im Urheberrecht habe ich viel in Berlin und Brüssel an diesen Themen gearbeitet. Und aus der Zeit bringe ich natürlich auch Erfahrungen und ein internationales Netzwerk mit, was jetzt bei diesen neuen Themen Streaming und KI hilfreich ist.

Mit der Beteiligung an Zebralution ist die GEMA erstmals als Investorin im Markt aufgetreten. In der aktuellen virtuos berichten wir über die Beteiligung der GEMA an SoundAware. Wird die GEMA unter Deiner Führung diesen Weg weitergehen?

TH: Zunächst investieren wir ja nicht um der Rendite Willen. Wir sind keine Finanzinvestoren, die alles kaufen, was Gewinne verspricht. Sondern wir investieren dort, wo es unseren Mitgliedern hilft. Wenn wir das Ziel verfolgen, den besten Service für unsere Mitglieder zu erreichen, in einem Musikmarkt, der sich gerade neu sortiert, dann sind Zukäufe natürlich weiterhin ein mögliches Mittel. Wir prüfen immer, wie wir schneller und besser an unser Ziel gelangen – indem wir extern wachsen oder intern Innovation vorantreiben.

Herr Heker, wir haben in den letzten Jahren einen großen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnet. In der aktuellen virtuos stellen wir das 90.000. Mitglied vor. Wie haben Sie das geschafft? Und, ist der Faktor Größe überhaupt ein Erfolgsfaktor? 

HH: Für das Wachstum sehe ich zwei mögliche Gründe. Die digitale Technologie hat den Zugang zum Musikmachen demokratisiert. Heute ist es deutlich einfacher und günstiger als früher, Musik zu machen. Das hat dazu geführt, dass wesentlich mehr Menschen sich ermutigt fühlen, im Musikbereich kreativ zu sein. Der zweite Grund ist vielleicht, dass die GEMA für Musikschaffende noch attraktiver geworden ist. Dies, weil die Musikschaffenden gesehen haben – Tobias Holzmüller hat es bereits erwähnt – was die GEMA in den letzten Jahren für ihre Mitglieder erreicht hat. Dass das Angebot an Services deutlich besser und vielfältiger geworden ist. Die Frage nach der Größe an sich, ja, Größe an sich ist nicht der einzig relevante Wert. Aber Größe hilft natürlich. Zum einen in Gesprächen mit der Politik. Hier zeigen wir, dass wir eine relevante Größe von Bürgerinnen und Bürgern vertreten, die im kreativen Bereich aktiv sind. Und es bringt mehr Verhandlungsmacht an den Tisch, wenn wir über Lizenz-Verträge verhandeln. Insofern mag Größe wichtig sein.
 

„Ich bin fest davon überzeugt, dass der Verein GEMA und sein Auftrag eine Zukunft hat.“ – Harald Heker

Müssen wir davon ausgehen, dass wir bald die Hunderttausend-Marke knacken? Und dann viele Avatare als Mitglieder der GEMA haben, die rein künstlich generierte Musik anmelden? 

TH: Hunderttausend Mitglieder bis 2027 ist realistisch. Und ist auch eine schöne Größe. Avatare wollen wir nicht als Mitglieder. Sondern wir wollen Menschen als Mitglieder. Komponisten und Komponistinnen, Textdichterinnen und Textdichter, Verlegerinnen und Verleger. Wir sind ein Verein von und für Menschen, die von ihrer Musik leben wollen. Und das werden wir auch weiterhin bleiben.

Stichwort Verein. Hat diese Struktur noch eine Relevanz in einer digitalen Welt?

HH: Ich bin fest davon überzeugt, dass der Verein GEMA und sein Auftrag eine Zukunft hat. Gerade in einer Zeit, die aufgrund der Digitalisierung zu einer zunehmenden Vereinzelung des Menschen führt. Da wird das Gemeinschaftsgefühl, das die GEMA bietet und der Solidaritätsgedanke, den sie verkörpert, für viele immer wichtiger. Und das mag dann auch in der Zukunft immer mehr zum Unterscheidungsmerkmal werden, wenn wir uns den Wettbewerb, in dem die GEMA steht, anschauen. 

Wie findet aktuell die Amtsübergabe statt? Tobias, bist Du schon eingebunden? 

TH: Ich bin ja nicht neu in der GEMA, sondern war bereits in meiner jetzigen Funktion in viele wichtige Entscheidungen involviert. Wir beide arbeiten seit 10 Jahren vertrauensvoll zusammen. Deshalb fällt das Onboarding vergleichsweise leicht. Und natürlich hat mit der Entscheidung über die Nachfolge auch ein Prozess eingesetzt, bei dem wir zusammen mit den Vorstandskollegen schrittweise die Übergabe an mich vorbereiten. Das heißt wir arbeiten gemeinsam an den Themen, die jetzt auf dem Tisch liegen. Und ich mache mit meinen künftigen Vorstandskollegen die Planung über den Übergabe-Zeitpunkt hinaus. Das erschöpft sich also nicht im symbolischen Moment der Schlüsselübergabe, sondern ist vielmehr ein Prozess, den wir, glaube ich, im Moment ganz fruchtbar gestalten bis 1. Oktober. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat, mit dem ich ja in meiner jetzigen Position schon sehr intensiv und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe.

Sie sind beide promovierte Juristen. Ist das ein Zufall? Oder hilft der juristische Background? 

HH: Also, es ist bestimmt kein Nachteil, aber auch keine Voraussetzung. In den Bereichen, in denen die GEMA noch als faktisches Monopol aktiv ist, mag es hilfreich sein, die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen dieses Geschäft stattfindet, besser einschätzen zu können. Ich würde noch ergänzen, dass auch die politische Arbeit der GEMA in weiten Teilen mit der Schaffung von Rechtsrahmen zu tun hat. Und da ist es natürlich auch hilfreich, wenn man Jurist ist. Aber ansonsten würde ich sagen, nein. 

TH: Es ist keine Überraschung, dass in einem Unternehmen, das mit Rechten wirtschaftet, viele Juristinnen und Juristen in Schlüsselpositionen zu finden sind. Umgekehrt ist die CEO-Rolle natürlich viel mehr als die des ersten juristischen Fach-Experten im Haus. Genau das hat Harald Heker immer so praktiziert und das werde ich auch so machen. Ich bleibe dem Recht verbunden aber es warten sehr viele Aufgaben auf mich, die über das Juristische hinausgehen.
 

Mit dem Leitsatz „Musik ist uns was wert“ positioniert sich die GEMA. Wie ist Dein persönlicher Bezug zur Musik? 

TH: Ich liebe Musik. Ich finde es ein Privileg, in einer Organisation zu arbeiten, bei der Musik im Zentrum des Wirkens steht. Und bei der man so viel mit Musik und den Menschen, die sie machen, zu tun hat. Der Kontakt zu unseren Mitgliedern war für mich schon in der jetzigen Position immer extrem wichtig. Sie wissen meist am besten, was wichtig ist. Die Begegnungen mit Mitgliedern, die sich für ihren Verein engagieren und auch für politische Themen im Rahmen der Mitgliederversammlung Stellung beziehen, das finde ich bereichernd. Solche Begegnungen werden mir auch in der künftigen Rolle wichtige Inspirationsquelle sein.

Wie versuchst Du, Dir diesen frischen Blick zu bewahren? 

TH: Natürlich ist es ein Vorteil, um damit mal anzufangen, dass ich jetzt nicht völlig frisch ins Unternehmen komme. Ich muss die Organisation nicht mehr kennenlernen. Das heißt, ich kann schnell in meiner neuen Rolle starten. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, sich einen objektiven Blick zu bewahren. Betriebsblindheit ist fatal. Das war auch in meiner jetzigen Rolle schon so. Wir müssen immer überlegen, was wir von anderen lernen können. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir sehr, sehr viel lernen können. Dass es überall etwas zu lernen gibt. Und dass viele der Themen, die wir haben, in etwas anderer Form vielleicht anderswo auf der Welt oder in anderen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens schon mal da waren. Und deswegen ist ein wacher, interessierter Blick, auch weit über die GEMA hinaus, Voraussetzung dafür, dass man intelligente Lösungen für die Herausforderungen, die wir aktuell haben, findet. Die Rolle des CEOs sehe ich so, dass man diesen Reality Check, diesen kritischen Blick von außen auch sicherstellen muss.

Herr Heker, mit welchen Wünschen übergeben Sie das Amt an Tobias Holzmüller?

HH: Wünschen möchte ich ihm alles erdenklich Gute und ganz viel Erfolg.

Tobias, was wünscht Du Dir von den Mitgliedern? 

TH: Ich lade alle Mitglieder ein, sich aktiv in die GEMA einzubringen. Sich zu engagieren und an den Diskussionen zu beteiligen, die wir über die großen Fragen der Zukunft führen. Das macht Spass und stärkt die Gemeinschaft – die GEMA ist nichts ohne Ihre Mitglieder. Aber natürlich ist es auch völlig in Ordnung, wenn Mitglieder sagen: Ich schreibe weiterhin großartige Musik – und die GEMA kümmert sich um den Rest.
 

Ein Portrait von Ursule Goebel, Pressekontakt der GEMA.
Name:
Ursula Goebel
Position:
Direktorin Kommunikation
Telephone:
+49 89 48003 426