Magazin / 31. Januar 2024

Interview mit Europaabgeordnetem Niklas Nienaß

Niklas Nienaß steht im Plenum der European Union.

Das Europäische Parlament hat am 17. Januar einen Bericht zum Thema Musikstreaming verabschiedet. Der Europaabgeordnete Niklas Nienaß war maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt. Im Interview mit der GEMA beantwortet er Fragen rund um den Bericht.

Warum beschäftigt sich das Europäische Parlament mit dem Thema Musikstreaming? 

Der Anteil von Streaming am gesamten Musikkonsum hat in den vergangenen zehn bis 15 Jahren massiv zugenommen, gut jeder Zweite hört Musik mittlerweile auf diesem Wege. Das ist zunächst erfreulich. Der Zugang zum unglaublichen Repertoire an Songs ist deutlich einfacher und komfortabler geworden. Für Musikschaffende gibt es enorme Möglichkeiten, von denen man früher nur träumen konnte. Jedoch haben sich mit der Zunahme von Musikstreaming auch bestehende strukturelle Probleme verschärft: Große Labels und die bekanntesten Akteure bekommen den größten Teil des Kuchens - während für die große Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler lediglich die Krümel übrigbleiben. 

Endlich bekommen diese Themen auch auf europapolitischer Ebene mehr und mehr Aufmerksamkeit. Sie betreffen den gesamten europäischen Musikmarkt und sind damit ein Thema für die Europäische Union. Wir müssen sie im Zusammenhang mit gesetzgeberischen Maßnahmen zum digitalen Binnenmarkt sehen. 

Im Musikstreaming gibt es kein Geoblocking, wie wir es etwa aus dem audiovisuellen Bereich kennen. Sehr viele Nutzerinnen und Nutzer greifen auf den Musikmarkt in Europa zu. Diese grenzüberschreitende Komponente macht das Thema für das Europäische Parlament so wichtig. Es gibt Bedarf zur Regulierung durch die EU, einzelne Mitgliedsstaaten könnten das nur schwer leisten. Insofern war es für uns allerhöchste Zeit, mit der nun verabschiedeten Resolution des Europäischen Parlaments dringend notwendige Änderungen bei Regelungen zum Musikstreaming anzustoßen.


Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Musikschaffenden? 

Die Herausforderungen für Musikschaffende sind so vielfältig wie vielleicht noch nie. Noch immer sind die langfristigen Auswirkungen der Pandemie deutlich spürbar, vor allem im Live-Bereich. Dort ist die weitgehende Kontrolle gesamter Wertschöpfungsketten durch wenige Global Player, Stichwort Ticketing, ein riesiges Problem. Mit unserer Cultural Creators Friendship Group (CCFG) – einem informellen Zusammenschluss von aktuell 28 Europaabgeordneten aus 14 Ländern und 6 Fraktionen – versuchen wir hier derzeit einige Dinge politisch anzustoßen.

Die rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz bringen neben vielen Chancen ebenfalls große Herausforderungen für Musikschaffende mit sich. Soziale Absicherung und Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden sind ein weiteres Thema, wo wir auf EU-Ebene unter dem Obergriff "European Status of the Artists" im vergangenen Jahr eine dringend notwendige gesetzgeberische Initiative gestartet haben.

In diese Kette wirklich großer Herausforderungen reiht sich die Vergütung im Streamingbereich ein – und dazu gehören auch Aspekte wie Transparenz, Metadaten und Auffindbarkeit oder auch Maßnahmen gegen Betrug. Ich halte es für grundlegend falsch, wenn aktuelle Modelle wie etwa "Pro-Rata" bekannte und große Künstlerinnen und Künstler überproportional vergüten. 

Das ist eine unfaire Situation für Musikschaffende mit eher kleinem Wirkungskreis, etwa aufstrebende Künstlerinnen und Künstler, die wir etwa mit dem "Creative Europe"-Programm der EU besonders unterstützen. Die wenigsten Musikschaffenden werden jemals ausschließlich vom Musikstreaming leben können, doch das Ziel einer gerechteren Verteilung innerhalb des Streamingmarktes sollten wir niemals aufgeben. 
 

Was kann auf EU-Ebene getan werden, um die Situation der Urheberinnen und Urheber beim Musikstreaming zu verbessern?

Wir haben im aktuellen Bericht verschiedene Mittel und Wege ausgearbeitet, wie man die Situation verbessern kann. Ganz akuten Handlungsbedarf sehen wir beim Bezahlmodell. Eher unbekannte Musikschaffende müssen für ihre Leistung endlich fair entlohnt werden. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Wir fordern die Kommission auf, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten, da wir hier eine europäische Regulierung brauchen. Sollten sich Musikschaffende, Labels und Streaminganbieter zuvor auf ein gerechtes Modell einigen, wäre das natürlich begrüßenswert. 

Ganz wichtig ist es auch, dass wir die Sichtbarkeit verbessern. Werke von europäischen und vor allem regionalen Musikschaffenden sollen für Nutzerinnen und Nutzer besser zu finden sein. Das kann für sie sehr positive Auswirkungen haben. Wer seine regionalen Musikschaffenden stärker wahrnimmt, besucht auch mal ein Konzert von ihnen.
 

Welche Rolle spielt Musik für Sie persönlich?

Ich bin mit Musik groß geworden, für mich spielt sie eine sehr wichtige Rolle. Ich habe viele Jahre im Chor gesungen und bin immer wieder gerne bei kleineren Festivals. Zur Entspannung spiele ich Klavier - nicht gut, aber gerne. Ich höre ganz oft Musik, je nach Stimmung beim Feiern eher laute Stücke, beim Lesen darf es ruhiger sein. Ich höre gerne unbekanntere und kleinere Bands und möchte sie kennenlernen. Wichtig ist mir nur, dass mir die Werke Gefühle mitgeben. Dahinter steckt ganz viel Arbeit - deswegen müssen wir die Musikschaffenden auch gerecht entlohnen. 
 

Fotocredits: Euopean Union