Magazin / 22. März 2024

KI im Kreativprozess: zwischen Skepsis und Faszination

Ist das Kunst oder kann das weg? Komponist Enjott Schneider und Singer-Songwriterin Brenda Blitz über die Rolle von Künstliche Intelligenz im Kreativprozess.

Enjott Schneider:

Künstliche   Intelligenz  im Kunstgewerbe: Ja! In authentischer Kunst: Nein! KI ist die endgültige Diktatur von Likes und Quote, von Durchschnittlichkeit als Norm, von statistisch getesteter Massenware, von intransparenter Vervielfältigung. Kunst/Poesie aber ist Dichtung, Verdichtung von sinnlichem Erleben und das intuitive Erfassen der Essenz des Seins. Das Verdichten als „auf den Punkt bringen“ passiert in der Koinzidenz von Seele, Intuition, Sehnsucht, Ängsten und Verletzungen, Protest – alles Kriterien, die einem Computer kategorisch fremd sind. Die AI erfolgt nach der Logik, die dem Synapsen-gesteuerten Hirnmodell des kognitiven Denkens nachprogrammiert ist. Bei einem Lebewesen „denken“ aber auch die Bakterien mit, nicht nur die Synapsen, ein Mensch beherbergt z. B. 38 Billionen (3,8 x 10 hoch 12) unterschiedliche Bakterien, vor allem in Bauch und Darm: Dieses Bauchgefühl ist bei jeder auch künstlerischen Entscheidung das Ausschlaggebende! 

Kreative Ideen sind das Resultat von Seelenerkundung, Albträumen, Hoffnungen und Sehnsucht, Wut und Liebe, Ängsten und Verletzungen, Tabuverletzungen und Freude an Destruktion bis zur Obszönität, sowie politischem Bewusstsein. Wo ist der Computer, der Albträume, Seele, Hoffnungen oder gar einen Darm hat – mit Bakterien, die seine abstrakte Logik zurechtstutzen?

 Ich freue mich über KI, weil man sie investigativ benutzen kann, wenn man origin kreativ ist. KI wird das Pseudo des Kunstgewerbes von authentischer Kommunikation trennen wie Spreu vom Weizen: etwa in Filmmusik, wo man schon seit Jahrzehnten lediglich Role Models beschämend „nachkomponieren“ muss und „Handschrift“ als zu individuell abgelehnt wird. Im Kommerz-Pop, wo „sounds as like“ der Markthorizont ist. Spannend, was da kommt und wie die GEMA die Spreu vom Weizen zu trennen versucht.

Portrait eines Mannes mit Schal
„KI ist die endgültige Diktatur von Likes und Quote, von Durchschnittlichkeit als Norm, von statistisch getesteter Massenware, von intransparenter Vervielfältigung“ – Enjott Schneider

Brenda Blitz:

Am Ende zählt immer, was du daraus machst. Ich finde es überhaupt nicht unkünstlerisch, sich bei der Entstehung eines neuen Songs bei aktuellen Technologien zu bedienen. 

Als Artist denke ich sowieso die meiste Zeit gesamt-konzeptuell. Also das, was am Ende eines Songs rauskommt, erzählt auch über den Text hinaus eine musikalische und bei mir auch immer eine visuelle Welt. Eine Geschichte, die sich aus vielen Elementen bedient – und sich KI als Element dazu zu holen, für den ein oder anderen Schritt, kann sehr spannend sein.

Viele finden das nicht mega „arty“, aber sich nicht kategorisch vor Neuerungen zu verschließen, finde ich einfach super nice.

Frau mit schwarzen Haaren
„Ich finde es überhaupt nicht unkünstlerisch, sich bei der Entstehung eines neuen Songs bei aktuellen Technologien zu bedienen“ – Brenda Blitz

Biografien:

Enjott Schneider ist genreübergreifend tätig, so komponierte er Opern, Sinfonien, Orgelwerke, Kammermusik, Oratorien, Orchester und Bühnenwerke, um einen Auszug aus seinem Schaffen zu nennen. Zudem schrieb der mit vielen internationalen Ehrungen ausgezeichnete Schneider Musik für Hunderte von Filmen, darunter „Schlafes Bruder“, „23“ oder „Stauffenberg“. Seine Werke werden weltweit aufgeführt. Zwischen 1979 und 2012 war er Professor an der Münchener Hochschule für Musik und Theater (Musiktheorie und Komposition), von 2003 bis 2020 Aufsichtsrat der GEMA, dessen Vorsitzender von 2012 bis 2017. 

Brenda Blitz aus Berlin ist eine musikalische Wundertüte: Popmusik, die im New Wave wurzelt, dazu deutsche Texte mit Tiefgang („Killer“, „Nichts mehr sein“) – und coolen Choreografien. „Musik wirkt noch mal mehr, wenn man auch eine visuelle Geschichte erzählt. Es ist einfach viel abgefahrener, mehrere Sinne gleichzeitig zu bedienen“, sagte die Halb-Brasilianerin mal in einem Interview mit dem „MYP Magazine“. Ihr persönlicher Albtraum „wäre deshalb auch eine Akustik-Gitarrenband, bei der alle bodenständig auf einem Hocker sitzen“.

Dieser Artikel ist ursprünglich in unserem Mitgliedermagazin virtuos (Ausgabe 3/2023) erschienen.